Sibea von @sibeakh

Zur Staffelstab-Frage „Lebst Du mit dem Krebs oder lebt der Krebs mit Dir?“ kam mir unwilkürlich die Dilemma-offenbarende Möbelhaus-Slogan-Anlehnung „Kämpfst Du noch oder lebst Du schon?“ in den Kopf.

Bisher war für mich einzig gültig: gegen Krebs kämpft man oder gegen Krebs verliert man. Aber Leben?

Ich bin, seit ich mit der Diagnose – an einem Freitag Nachmittag via knapper nüchterner Telefonmitteilung – ziemlich brutal ins eiskalte Wasser geworfen wurde, in Kampfmodus delux.

Ich wurde von einem plötzlichen Tsunami auf Hochsee von Bord meines gemütlichen Bötchens in tosende Wellen katapultiert, sodass mir Hören und Sehen und Denken verging.

Während der Wochen der Diagnostik versuchte ich zu verstehen, dass da etwas in mir ist, was mich gerade aggressivst umbringen will, was ich unter allen Umständen los werden muss. Krebs. Eine lebensverkürzende Krankheit. Dazu noch eine besonders fiese Variante, bei der der Primärtumor nicht zu finden ist.

Aber es blieb keine Wahl, mit viel Unterstützung und Kampfgeist meisterte ich die Orientierungslosigkeit, Malträtierungen, Verzweiflung und To-Do-Listen, bis entschieden wurde, dass es mit Chemo losgeht.

Und selbst jetzt, mitten in der Therapie, ist mir die wer-lebt-mit-wem-Frage zunächst nicht schlüssig gewesen, denn ich werde diesen Krebs ja nie wirklich los, offen ist nur, wann und wie er mein Leben verkürzt.

Dann begann ich die Antworten von meinen Co-Cancer-Fighterinnen zu lesen, viele lange nach der Akuttherapie, viele nicht notwendigerweise krebsfrei, und alle schrieben von „Leben“. Wie jetzt?

Die denkanstoßgebenden Beiträge lieferten mir unheimlich motivierende, hoffnungsvolle  Betrachtungsmöglichkeiten, dass der blanke Kampfmodus ja nicht nur eines Tages modifiziert werden muss – nicht weil der Kampf aufgegeben wird, sondern weil das, was danach kommt, trotz allem lebenswert sein kann.

Dass man nicht wieder zurück kann, in das, was man vorher sein Leben nannte, aber dass das Neue eine Chance ist, wenn man sich darauf einlässt, ist ein Lernprozess, der nach dem Kampfmodus einsetzt.

Dass Ängste, Einschränkungen, Traumata, ewige Schmerzen und Behandlungen, sogar Rückfälle, die einen danach begleiten, mit oder ohne Kampfmodus existieren, aber sogar in den Hintergrund rücken können, ist der Weg, nicht das Ziel.

Doch da bin ich noch lange nicht.

Zwar nicht mehr im Unwetter auf Hochsee, so purzle ich derzeit immernoch durch die Wellen, aber nun nahe unbekannter Uferklippen. Inmitten heftiger Brandungsgischt schnappe ich nach Atem, weiss nicht wo oben oder unten, schlucke mehr Wasser als Luft, knalle auf Felsen, aber ich ahne ein mir unbekanntes Terrain vor mir, an das mich der Tsunami geschleudert hat. Ich kämpfe, strample, schreie, und habe derzeit nichts ausser Angst und Fragen und beobachte die mentalen und physischen Schadensprozesse, die über mich auf so vielen Ebenen einprasseln, während ich versuche, den Kopf oben zu behalten, aber es ist Land in Sicht.

Sollte ich es je an dieses neue Ufer schaffen, weiss ich nun von jenen, die dort schon Fuß gefasst haben, dass man sich einrichten kann, arrangieren mit den individuellen Umständen, dass, wenn Diagnose und Akuttherapie hinter einem liegen, auch wieder Leben möglich ist, ganz gleich, was sich dort vorfindet.

Insofern habe ich noch lange kein Fazit zur Frage, ob ich mit dem Krebs oder der Krebs mit mir lebt, aber es manifestiert sich zumindest, dank der anderen Erfahrungen, die zur Frage geteilt wurden, die Hoffnung, dass ich es an dieses Ufer schaffe, wo ich durchatmen, Wunden lecken, Wasser spucken, den Kampfmodus ein paar Gänge runterschalten und mich umgucken kann, wie ich mir das wie auch immer geartete Bonus-Leben einrichten könnte.

Sibea